Psychoanalyse der Deutschen
Donnerstag, 22.02.2007, 20:00, vortrag

Über die falsche Aufhebung des Subjekts

Die Psychoanalyse möchte sein die Wissenschaft von der Katastrophe im Subjekt, oder besser: die Wissenschaft vom Subjekt als der Katastrophe der Gesellschaft; was aber auf das Gleiche hinausläuft. Dabei kann sie sich nur verheddern und ins Stolpern kommen: einerseits, weil ihr Begriff von Gesellschaft der bürgerlichen Revolution verpflichtet ist, andrerseits, weil ihr Begriff vom Subjekt das Gegenteil und die Konsequenz vom Sturm auf die Bastille ist, d.h. die Wannsee-Konferenz vom 20. Januar 1942, nicht zuläßt. Das meint: Hatte Hitler eine Psyche? Oder war er nur die in einem Körper eingefleischte Gesellschaftsfunktion? (Das erkannte Johann Georg Elser, um ihn zu liquidieren.). Und was ist mit Eichmann? Was mit Baldur von Schirach? Und was mit Hans Frank, dem Generalgouverneur von Polen? Niklas Frank, sein Sohn, tut so, als hätte der Vater eine gehabt. Es ist dies eine Unterstellung, um zu verstehen. D.h.: um zu rationalisieren. Aber der Nazifaschismus hat die Bedingung der Möglichkeit zerstört, die Gesellschaft, wie immer auch ideologisch, als Interaktionszusammenhang, bei dem es auf Motivation noch irgend ankäme, sich intellektgerecht zurecht zu legen. Das trifft die Kategorie des Subjekts ins Mark. Nicht mehr kann sie, emphatisch, wie bei Sigmund Freud, als Anweisung darauf betrachtet werden, das "Ich" gegen seine angeborenen Feinde zu verwirklichen; vielmehr ist sie als die Inkarnation des Zwangs zur Identität zu verhandeln. Die Transformation der bürgerlichen Gesellschaft ins totale Mordkollektiv zeigt, daß das "Subjekt" keineswegs der Ort freier Selbstbestimmung und vernünftiger Spontaneität ist, sonder nur eine juristische, eine politökonomische Kategorie des Warentausches, eine Kategorie des BGB. Wie die Ware, das hat Alfred Sohn-Rethel gezeigt, unterm identischen Preisschild den Naturprozeß stillstellt und als Realabstraktion verfährt, so zwingt das Subjekt als vom Staat mit Gewalt bewehrte "fictio juris" (Marx) und d.h. Realfiktion, das konkrete Individuum, der kontrafaktisch unterstellten Identität (und Kontinuität) des freien Willens sich anzubequemen, d.h. sich, als Natur, stillzustellen. Da kochen die Ressentiments auf, nicht zuletzt auch der antisemitische Wahn. Deutschland, der Mordzusammenhang, setzt die Psychoanalyse außer Kraft. Die Psychoanalyse scheitert an Deutschland, gerade im Verhältnis von "Massenpsychologie und Ich-Analyse". Hätte es anders kommen können, wenn Freud die Hegelsche Kategorie des "Volksgeistes" analysiert hätte? Wenn er Goldhagen hätte lesen können? Man weiß es nicht. Was man aber gewiß weiß, das ist, daß die postfaschistischen Erben des Mordkollektivs die Psychoanalyse negativ aufgehoben haben: Es gab keine Rache für Auschwitz, und wenn das Gesetz der Äquivalenz aufgehoben ist, dann ist alles möglich. Wie im bösen Traum.

Vortrag und Diskussion mit Joachim Bruhn (www.isf-freiburg.org).