Reclaim The Streets

Es hätte eine bunte, friedliche Party werden sollen, „Reclaim the Streets“ war das Motto: Laßt uns die Straße, den öffentlichen Raum wieder aneignen und mit Leben füllen! Statt einer Szenerie mit Straßentheater, Musik, Tanz und Gesang bot sich den BürgerInnen das Bild einer Stadt im Belagerungszustand. In Fortsetzung der Repressionsstrategie der Polizei gegen das Do-it-yourself-Festival wurde versucht, jede kreative Aktion schon im Keim mit einem massiven und martialisch auftretenden Polizeiaufgebot zu ersticken. Weiträumig wurde versucht, potentielle TeilnehmerInnen vom Erreichen der Innenstadt abzuhalten – was vielen aber durch spontane Taktiken wie der Durchquerung der Dreisam dennoch gelang.

Gegen 15.00 Uhr kam es dann am Bertholdsbrunnen zu ersten Aktionen – ein Geiger spielte, Lieder wurden gesungen und eine Truppe von Clowns durchbrach mit einer Performance den hektischen und von Konsum geprägten Alltagstrott. Als Persiflage auf die deutsche Ordnungsmentalität und als Protest gegen eine Politik der „sauberen“ Innenstadt machten sich die Clowns daran, mit bunten Wedeln die Straßenbahngleise und den Bertholdsbrunnen zu putzen. Doch offenbar waren in den Augen der PolizistInnen dadurch Ruhe, Ordnung und Konsum bereits in inakzeptabler Weise gestört. Hunderte von PolizistInnen, darunter seit Jahren auch erstmals wieder in Freiburg eingesetzte, martialisch ausgestattete Spezialkräfte, griffen unter dem Vorwand der „Vermummung“ gezielt die Clowns heraus und führten sie unter den verständnislosen Blicken vieler PassantInnen und unter lautem Protest der anderen DemoteilnehmerInnen gewaltsam ab. Alle weiteren Aktionen, wie die Kommunikation mit PassantInnen oder das Verlassen der von allen Seiten umstellten Kreuzung wurden versucht zu verhindern, die Demo schließlich in Richtung Platz der alten Synagoge abgedrängt.

Dort angelangt, ließen sich die RTS-TeilnehmerInnen aber nicht vom Polizeiaufgebot einschüchtern, eine Sambagruppe trommelte, es wurde getanzt, bis die Situation dann erneut und völlig grundlos von der Polizei eskaliert wurde. Ohne Vorwarnung wurden alle Leute, die sich zu dem Zeitpunkt friedlich feiernd auf der Wiese aufhielten, von einer mehrreihigen Polizeikette eingekesselt. Dort waren sie die nächsten Stunden gefangen und der Sonne ausgesetzt; vor allem war weder Grund noch Dauer der willkürlichen Polizeiaktion ersichtlich. Die Sambagruppe versuchte unentwegt, der brutalen Demonstration von Staatsgewalt etwas entgegenzusetzen, die Außenstehenden zeigten sich mit den Eingeschlossenen solidarisch und viele BürgerInnen blieben fassungslos stehen. ZeugInnen waren aber offensichtlich unerwünscht, immer wieder wurden Personen grundlos aufgefordert, sich zu entfernen, vor allem wurde jedoch versucht, eine kritische Dokumentation der Ereignisse durch FotografInnen zu verhindern.

Zusätzlich wurde der Blick verwehrt auf das Innere des Kessels, wo es zu brutalen Übergriffen und grundlosen Schlagstockeinsätzen durch die Polizei kam: Zahlreiche Personen wurden verletzt und mussten zum Teil ärztlich behandelt werden. Nach zermürbenden zwei Stunden begann die Polizei, die eingekesselten Personen einzeln gewaltsam abzuführen, zu fotografieren, ihre Personalien aufzunehmen und Platzverweise auszusprechen. Über 60 Personen wurden in Gewahrsam genommen, mindestens drei Personen dem Haftrichter vorgeführt. Diese Prozedur zog sich zwei weitere quälende Stunden hin.

Alles in allem zielte der Einsatz ausschließlich darauf ab, die friedliche Reclaim-the-Streets-Party zu provozieren und zu eskalieren, um das D.I.Y.-Festival unterbinden zu können. Trotzdem ließen sich die DemonstrantInnen zu keinerlei gewalttätigen Ausschreitungen provozieren, sondern beschränkten sich auf friedliche Protestformen. Entgegen der Darstellung der Polizei wurden darüber hinaus alle Verhandlungsangebote der DemonstrantInnen kategorisch abgelehnt.

Der Polizeieinsatz am Samstag war aber nicht nur völlig unverhältnismäßig, sondern auch grob fahrlässig: Eine Person, die offensichtlich medizinische Hilfe benötigte und über deren Gesundheitszustand die Polizei von den DemosanitäterInnen informiert worden war, wurde dennoch brutal festgenommen. Daraufhin erlitt sie einen epileptischen Anfall, auf den die Polizei völlig falsch reagierte. So wurden beispielsweise die Fesseln noch weiter zugezogen, ein zufällig anwesender Arzt erst nach langen Diskussionen durchgelassen und darüber hinaus bei seiner Arbeit behindert; ein Krankenwagen wurde erst nach ca. 20 Minuten verständigt, obwohl die Person die ganze Zeit über bewusstlos war (siehe das ärztliche Gedächtnisprotokoll). Dieses Fehlverhalten der Polizei hätte für die betreffende Person tödlich enden können.

Die Repression der letzen Tage hat eine neue Qualität erreicht. Den Versuch, in Freiburg neue Maßstäbe zu etablieren, werden wir nicht widerstandslos hinnehmen, sondern weiterhin unsere vielfältigen Protestaktionen auf die Straße tragen, und zwar in der Form, die wir für richtig halten. Nicht nur bei uns, sondern auch bei vielen PassantInnen hat der Polizeieinsatz Empörung, Entsetzen und Unverständnis ausgelöst.

Wir fordern die Polizei auf, ihre Eskalationsstrategie sofort zu beenden. Ebenfalls fordern wir die Freiburger Öffentlichkeit auf, deutlich gegen das Verhalten der Polizei Stellung zu beziehen und Druck auf die zuständigen Stellen auszuüben.

Gegen Repression und Polizeiwillkür, für ein selbstbestimmtes Leben!

KTS-Sonderplenum, 30.07.2006