Stellungnahme des KTS-Plenums zur Heuschreckenkampagne

Der Offene Brief "Unschuldige Insekten" vom 29.5., in dem sich das KTS Plenum in knapper und scharfer Form gegen das Heuschreckensymbol gewandt hat, hat heftige Reaktionen hervorgerufen – und damit erst einmal das erreicht, was Ziel einer Textveröffentlichung ist. Was nun weder heißt, daß wir über alles erfreut gewesen wären, was an Reaktionen kam, noch daß der Brief in der veröffentlichten Form perfekt war.

Ob Inhalt und Stil des Offenen Briefes tatsächlich geeignet waren, die Menschen zum Nachdenken zu bringen, die für die Heuschreckenkampagne verantwortlich sind (sie waren die HauptadressatInnen des Offenen Briefes) oder sich positiv darauf beziehen, war auf den nachfolgenden Plena teils heftig umstritten. Darüberhinaus wurde auch innerhalb des Plenums kritisiert, daß es schon früher eine Stellungnahme zum geplanten Wohnungsverkauf an sich sowie zur Politik der Bürgerinitiative „Wohnen ist Menschenrecht“ (BI) hätte geben sollen. Einigkeit besteht aber weiterhin in der grundsätzlichen Ablehnung des Symbols. Der auch intern umstrittene polemische, genervte Tonfall war Ausdruck der Verärgerung und des Unverständnisses darüber, daß trotz jahrelanger intensiver Debatten zum Thema Antisemitismus völlig konsequenzlos, unreflektiert und unsensibel ein solches Symbol gewählt wurde. Zur Verdeutlichung unserer Kritik wollen wir im Folgenden nochmals ausführen, warum wir das Symbol ebenso wie den damit verbundenen Politikstil ablehnen. Die Heuschreckensymbolik lehnen wir ja nicht allein deshalb ab, weil sie in der Nazipropaganda Verwendung fand (und findet), sondern auch, weil sie an sich und grundsätzlich problematisch ist. Die Heuschrecke steht immer für einen von außen kommenden Angriff, dem eine unschuldige, unbeteiligte bedrohte Gruppe entgegensteht. Propaganda setzt wesentlich auf solch einfache Erklärungen, es gibt klare Unterscheidungen zwischen der guten Eigengruppe und den bösartigen Anderen. Und vor allem gibt es für jedes noch so komplexe Problem persönlich Verantwortliche, so wird beispielsweise weniger die grundsätzliche kapitalistische Logik kritisch analysiert, sondern vor allem das skrupellose Verhalten der „KapitalistInnen“ angeklagt und dämonisiert. Es ist alles andere als zufällig, daß die Unterschiede zwischen „links“ und „rechts“ verschwimmen, je populistischer Politik gemacht wird. Der „Antikapitalismus“ auch heutiger Nazis ist von linkspopulistischer Propaganda oft kaum zu unterscheiden. Gerade die Heuschreckenrhetorik, die Franz Müntefering vor einem Jahr aktualisierte, wurde von Nazis begeistert begrüßt und unterstützt. Es ist eine ebenso hartnäckige wie gefährliche linke Illusion, daß jede Art von Unmut, Protest und Widerstand eigentlich und automatisch eine emanzipatorische Stoßrichtung hat. Rassismus, Antisemitismus, Nationalismus usw. sind weit verbreitete Denk- und Verhaltensmuster, die gerade in Krisenzeiten zunehmen und gefährlicher werden. Für solche Tendenzen muß ein kritisches Bewußtsein entwickelt werden, ihnen muß klar entgegengetreten werden und vor allem darf ihnen nicht mit populistischer Symbolik Tür und Tor geöffnet werden. Doch von einem solchen kritischen Bewußtsein war und ist im Rahmen der (durchaus vielfältigen) Bewegung gegen den Häuserverkauf erschreckend wenig vorhanden, die Bereitschaft, das Heuschreckensymbol auch nur zu überdenken war nur selten anzutreffen und blieb stets ohne Konsequenzen. Statt dessen kam es zu teils aggressiven Reaktionen, die selbst wieder ganz neue Probleme und Differenzen offenbarten, wenn etwa Kritik als Verrat an der Bewegung gedeutet wurde, deren guter Zweck offenbar jedes Mittel rechtfertigt. Bedenken ob der Angemessenheit unserer Kritik schwanden so immer mehr, und es war vielleicht naiv, anzunehmen, die BI hätte nicht genau und bewußt das Symbol gewählt, welches zu ihrem Denken und Handeln paßt. Spätestens die Veröffentlichung des Flyers für den „Sternmarsch“ am 1.7. hat drastisch deutlich gemacht, warum wir mit der Politik der BI nichts zu tun haben wollen. Auf dem Plakat ist eine riesige Heuschrecke abgebildet, die sich über Deutschland hermacht, darüber steht die Parole "Bürger wehrt euch!" – warum nicht gleich "Deutsche wehrt euch"?

Mit der Heuschreckenkampagne wird ein Szenario beschworen, bei dem die MieterInnen aus der fürsorglichen und demokratisch kontrollierten Obhut von Stadt und Staat entlassen und skrupellosen KapitalistInnen zum Fraß vorgeworfen werden, die als „vaterlandslose Gesellen“ (DGB-Chef Michal Sommer) keine „soziale Verantwortung“ kennen und empörenderweise „Gewinn“ machen wollen, und zwar „so viel wie möglich“. Dies ist aber nicht nur eine oberflächliche, moralisierende Sichtweise, die den grundsätzlichsten kapitalistischen Gesetzen mit hilflosen Appellen begegnen will, sondern auch eine viel zu positive Betrachtung der städtischen Politik. Wie gerade ein Blick auf die Politik der Stadt Freiburg zeigt, ist die Annahme, daß ein Unternehmen im Besitz der Stadt wesentlich sozialverträglicher handelt als ein privates, doch sehr zweifelhaft. Seit der Schaffung der Stadtbau in ihrer heutigen Form (Fusion von Siedlungsgesellschaft und Stadtbau 2001) ist es erklärtes Ziel des Unternehmens, Gewinn abzuwerfen: Unrentable Häuser werden verkauft oder abgerissen, andere werden saniert und anschließend die Mieten stark erhöht. Ein weiteres Beispiel für die Prioritätensetzung der Stadt ist der Ausbau der Messe, der mit der Notwendigkeit begründet und durchgesetzt wurde, die Intersolar in Freiburg zu halten. Kurz vor Fertigstellung stellte sich plötzlich heraus, daß auch die Erweiterung bei weitem nicht für diese Messe ausreicht, was natürlich niemand wissen konnte. Aber es ging ja nur um 29 Millionen, Peanuts im Vergleich zum Konzerthaus, das jetzt zum Zehnjährigen als Erfolgsstory verkauft wird, dessen Betrieb die Stadt aber immer noch jährlich so viel Geld kostet wie die gesamte Kinder- und Jugendarbeit. Von angedrohten Kürzungen bei Kultureinrichtungen ist die „Hochkultur“ im Konzerthaus natürlich ausgenommen. Daß mit dem verscherbelten „Tafelsilber“ ausgerechnet Brücken saniert werden sollen, mag mensch zwar zynisch finden, es paßt aber ins Bild. Mit dem Verkauf der Stadtbau wird zu Recht die Gefahr noch schneller steigender Mieten und der Einschränkung rechtlicher Einspruchsmöglichkeiten verbunden. Auch droht es zu verschärfter sozialer Ausgrenzung zu kommen, indem MieterInnen, die nicht mehr ins gewünschte Stadtbild passen, durch Kündigungen und andere Schikanen vertrieben werden. Dies alles ist jedoch schon heute Realität. Der Unterschied zwischen städtischer und privatkapitalistischer Praxis ist keiner ums Ganze, durch den Wohnungsverkauf würden sich Zustände noch schneller verschlechtern, die allerdings schon heute untragbar sind.

Die Dynamik der Proteste und Diskussionen um den Wohnungsverkauf werden von Existenz- und Zukunftsängsten geprägt, die sich aus dem krisenhaften gesellschaftlichen Gesamtzusammenhang ergeben und nicht mit der graduellen Verschlechterung im Falle eines Verkaufs allein erklärt werden können. Es scheint, also ob sich bei Vielen unbewußt oder zumindest unausgesprochen das gesamte Unbehagen angesichts der prekären Gegenwart und bedrohlichen Zukunft gebündelt mit der Entscheidung über den Wohnungsverkauf verbindet. Im Gegensatz zur gesellschaftlichen Gesamtentwicklung, die als ebenso überwältigend wie unfaßbar erlebt wird, gibt es nun endlich einmal Klarheit: Ein sichtbarer Feind (Heuschrecken), eine konkrete Entscheidung und die Aussicht auf Erfolg. In dieser Situation scheint dann die Verweigerung einer „solidarischen“ Einreihung in die von der BI geprägten Proteste als ebenso unverständlich wie inakzeptabel, was sich insbesondere in den Diskussionen im Anschluß an den Offenen Brief zeigte. Wie beschrieben ist es aber die Heuschreckenkampagne selbst, die für viele einer Beteiligung an den Protesten im Wege stand und steht, zudem halten wir es für unerläßlich, genau von den Zusammenhängen zu reden, die im Rahmen dieser populistischen Kampagne nicht zufällig völlig untergehen.

Seit Jahren und mit rapidem Tempo kommt es zu einer Brutalisierung der kapitalistischen Verhältnisse, was aber bei einem auf Herrschaft und Ausbeutung beruhendem System als Normalisierung verstanden werden muß. Der Kapitalismus hat selbst in einem noch immer reichen Land wie Deutschland den meisten Menschen nicht mehr zu bieten als die Perspektive, bei lebenslanger Unterwürfigkeit und Leistungsfähigkeit vielleicht nicht zu verelenden. Eine wachsende Zahl von Menschen ist für die herrschende Ordnung schlicht überflüssig und wird auch langfristig nichts anderes erwarten können als Almosen, Zwangsarbeit, Ausgrenzung in Ghettos oder gleich in Gefängnissen. Franz Müntefering, auf den sich die BI bezieht, zeigt als Vertreter der herrschenden Ordnung beispielhaft, wie mit deren unlösbaren Widersprüchen umgegangen wird: Einerseits Hetzkampagnen und Zwangsmaßnahmen gegen Arbeitslose und andere, die „uns“ als faule „SchmarotzerInnen“ auf der Tasche liegen und selbst für ihre Situation verantwortlich gemacht werden. Andererseits und offensichtlich nicht im Widerspruch dazu „antikapitalistischer“ Populismus und Nationalismus gegen „Heuschrecken“ und andere „Entartungen“ des unhinterfragten Systems.

So wundert es auch nicht, daß sich im Aufruf für die Demonstration am 1.7. nicht auch nur der Ansatz einer umfassenden Gesellschaftskritik oder gar einer emanzipatorischen Perspektive findet. Selbst die Lebensrealität vieler MieterInnen, für die die BI sprechen will, hat in dem Aufruf keinen Platz. Es klingt schlicht zynisch, wenn Arbeitsterror, Verarmung und Hetze von der BI als „sozialer Frieden“ beschrieben werden, der erst durch den Wohnungsverkauf „gefährdet“ wird. Tatsächlich bedeutet „sozialer Frieden“, auch den ProletInnen, Arbeitslosen und sonstigen „Problemfällen“ zumindest soviel zu geben, daß sie „friedlich“ bleiben, in diesem Fall eben Sozialwohnungen. Der Begriff entstammt den Angstvisionen braver BürgerInnen, die ihre „Lebensqualität“ durch kriminelle oder gar rebellierende „Unterschichten“ gefährdet sehen. Es drohen sonst „französische Zustände“, d.h. nicht nur „Ghettos“, sondern auch wilde, militante Streiks, StudentInnenproteste und andere Kämpfe gegen einen Frieden, der hier schon viel zu lange anhält.

Um es nochmals deutlich zu sagen: Auch wir lehnen den Verkauf der städtischen Wohnungen ab und finden es wichtig, dagegen zu protestieren. Es ist aber eine Sache, zur Verhinderung einer konkreten kommunalpolitischen Entscheidung ein breites Bündnis zu organisieren, eine andere, sich in populistischer Manier einer nationalistisch und antisemitisch aufgeladenen Symbolik zu bedienen. Wir haben versucht darzustellen, warum es im Interesse der BewohnerInnen und ihrer UnterstützerInnen liegen sollte, ihren Protest nicht vereinnahmen und in konformistische Bahnen lenken zu lassen und sich statt dessen deutlich von der Kampagne der BI zu distanzieren. Wir begrüßen und unterstützen alle Ansätze von autonomen, basisdemokratischen Widerstand und solidarisieren uns mit allen Versuchen, Wohn- und Lebensumfeld selbstbestimmt zu gestalten.

Soziale Revolution und alles für alle statt „sozialer Frieden“!

Die Häuser denen, die drin wohnen!

Rathausverkauf jetzt!

Ansonsten, grundsätzlich und aus aktuellem Anlaß: Nie wieder Deutschland!

(KTS-Plenum 26.6.2006)